Als Getaufte in Christus bleiben und in seinem Leib verbunden sein – Predigt von Kurt Cardinal Koch

Als Getaufte in Christus bleiben und in seinem Leib verbunden sein – Predigt von Kurt Cardinal Koch 02.11.2016

Predigt von Kurt Cardinal Koch im Wortgottesdienst mit der Ökumenischen Romfahrt „Mit Luther zum Papst“ in der Basilika St. Paul vor den Mauern in Rom am 11. Oktober 2016.


„Mit Luther zum Papst“: Dieses ansprechende wie anspruchsvolle Leitwort Ihrer Ökumenischen Romfahrt bedeutet in erster Linie „mit Luther zu Petrus“, dem Patron der Kirche von Rom und dessen Nachfolger heute Papst Franziskus ist. Wenn wir in der Basilika St. Paul vor den Mauern einen Ökumenischen Gottesdienst feiern, dann heisst Ihr Leitwort auch: „Mit Luther zu Paulus“. Bei ihm ist Martin Luther natürlich ganz zu hause; denn von ihm hat er den innersten Kern des christlichen Glaubens gelernt, nämlich die innige Verbundenheit des glaubenden Menschen mit Christus, wie sie im heutigen Evangelium mit dem tiefen Bild vom Weinstock und seinen Reben zum Ausdruck gebracht wird: Ohne Verbindung mit dem Weinstock Christus können die Reben des einzelnen Christen, der verschiedenen Kirchen und der Ökumene nicht leben. Wenn der Saft des Weinstocks nicht in die Rebzweige fliessen kann, wächst keinerlei Frucht. Wenn wir nicht wirklich mit Christus verbunden sind, dann sind wir tot wie dürre Rebzweige. Wir sind deshalb gut beraten, wenn wir die so eindringliche Einladung und die so tröstliche Verheissung Jesu Christi im heutigen Evangelium dankbar entgegen nehmen: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in Euch“ (Joh 15, 4). Auf dieses Bleiben kommt es im christlichen Leben entscheidend an. Die ökumenische Romfahrt ist ein willkommener Anlass. Christus inständig zu bitten, dass er in unserer Mitte bleibt, und uns neu zu verpflichten, dass auch wir in Christus bleiben:

Teilhabe am Weg Christi vom Tod zum Leben

Wie kann dies geschehen? Das gegenseitige Bleiben hat für Paulus seinen entscheidenden Grund in der Taufe. Für den Apostel ist die Taufe nicht einfach ein Sakrament, das rein äusserlich vollzogen werden könnte; es geht ihm vielmehr um eine innere Umwandlung des getauften Menschen. Die Taufe bedeutet einen radikalen Existenzwechsel von einem „fleischlichen“, der Sünde und dem Tod ausgelieferten Leben zum „geistlichen“, von Gottes Geist geleiteten Leben im Sinne der Befreiung zum wahren Sein. Für Paulus kann es deshalb nicht genügen, dass wir einfach Getaufte sind; für ihn ist es viel entscheidender, dass wir durch die Taufe „in Christus“ sind und er in uns ist, wie Paulus dieses gegenseitige, gleichsam mystische Durchdrungensein von Christus mit dem Getauften in seinem Selbstbekenntnis zum Ausdruck gebracht hat: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich jetzt aber noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2, 19b-20).

Mit diesen tiefen Worten hat Paulus umschrieben, was sich in der Taufe ereignet: Mit ihr wird der Täufling hinein genommen in die Bewegung Jesu Christi vom Tod zum Leben. Damit ist die Zumutung an uns Getaufte verbunden, als neue Menschen zu leben. Denn wer in der Taufe mit Christus verbunden und mit seinem Lebenswasser gewaschen wird, der kann nachher nicht wieder ein Mensch werden, der gleichsam „mit allen Wassern gewaschen“ ist. Er ist vielmehr berufen, immer mehr ein Mensch zu werden, der sich auch weiterhin nur waschen lässt mit dem Taufwasser der Liebe und des Friedens. Diesen hohen Anspruch der Taufe hat Martin Luther in seiner gewohnt drastischen, aber treffsicheren Sprache in der Feststellung zusammengefasst: „Ich wollte den alten Menschen in mir ersäufen, doch der verdammte Kerl konnte schwimmen.“ Auch wir machen immer wieder die Erfahrung  der hohen Schwimmkunst des alten Menschen in uns. Es kann deshalb auch für uns nichts Wichtigeres geben als dies, immer wieder auf unsere Taufe zurück zu kommen und sie neu anzunehmen.

Gerade in einem Gottesdienst während einer ökumenischen Pilgerfahrt sind wir gut beraten, uns einmal mehr die ganz persönliche Frage zu stellen, was uns unser Getauftsein eigentlich bedeutet. Vielleicht müssen wir eingestehen, dass dieses Ereignis weit zurück liegt und in der Gegenwart im ersten Zusehen keine besondere Bedeutung für uns hat. Während wir die Erstbeichte, die Erstkommunion und die Firmung persönlich erlebt haben, entzieht sich die Taufe, die zumeist am Beginn unseres Lebens gefeiert worden ist, unseren persönlichen Erinnerungen. Nicht wenige Menschen vertreten zudem heute die Meinung, der Ritus der Taufe sei eine zwar sehr schöne, aber eigentlich doch etwas altmodische Art und Weise, jemanden in eine Religionsgemeinschaft aufzunehmen, die vielleicht besonders in Zeiten geeignet gewesen ist, in denen die Menschen weder schreiben noch lesen konnten, und sie könnte heute eher durch einen Aktenvermerk oder durch eine Urkunde ersetzt werden.

Hinter dieser etwas überheblichen und auch rationalistischen Mentalität verbirgt sich freilich ein fatales Missverständnis. Denn die Taufe ist nicht einfach die Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft, sondern, wie es im Brief an Titus heisst, das „Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit 3, 5). Als Beginn des Christwerdens ist die Taufe ein notwendiger Vorgang der Umkehr und der Reinigung des Lebens.

Taufe als existenzielle Übereignung an Christus

Die Taufe erweist sich damit als ein verbindliches Geschehen, das sehr schön zum Ausdruck kommt in der frühen Liturgie, wie sie in Jerusalem gefeiert worden ist. Von dieser wird überliefert, dass bei der Aufnahme von Erwachsenen in die Glaubensgemeinschaft der Kirche der Täufling sich hinten in der Kirche nach Westen als den Ort der Finsternis und der Dunkelheit drehte und sich viermal vom Teufel und allem Bösen und seinem Pomp lossagte. Anschliessend drehte er sich nach Osten als den Ort der aufgehenden Sonne und des Lichtes und bekannte dreimal den christlichen Glauben an Gott, den Vater, an seinen Sohn, Jesus Christus, und an den Heiligen Geist. In dieser frühen Taufliturgie kommt sichtbar zum Ausdruck, dass die Taufe in einem elementaren Sinn mit der Bereitschaft zur Umkehr verbunden ist; und in der Umdrehung von Westen nach Osten wurde liturgisch inszeniert, was Umkehr in der Taufe bedeutet, nämlich Abwendung vom Bösen und Hinwendung zum Guten und damit Umkehrung des eigenen Lebens. Mit der liturgischen Umdrehung von Westen nach Osten war eine Neu-Orientierung des eigenen Lebens verbunden, und zwar im ursprünglichen Sinn des Ausrichtens des Lebens nach dem oriens, der aufgehenden Sonne, die in der Menschwerdung Jesu Christi bereits aufgegangen ist. Leben im Geist der christlichen Taufe hiess damals einfach, aber radikal: „Conversi ad dominum“ – Richtet euer Leben auf Christus aus! 

Damit tritt eine wichtige Dimension der Taufe ans Licht, die gerade in ökumenischer Sicht von grundlegender Bedeutung ist und darin besteht, dass die Taufe „auf den Namen Jesu Christi“ vollzogen wird. Es wird dabei eine gleichsam banktechnische Wendung im Sinne von „auf das Konto von jemandem überweisen“ verwendet, um die Taufe als existenzielle Übereignung des Lebens eines Menschen an Christus als den neuen Herrn des Getauften zum Verstehen zu bringen. In der Taufe wird der Täufling dem himmlischen Kyrios unterstellt, der ihm das Heil schenkt. In der Taufe bietet Christus jedem persönlich seinen Bund an und lädt ihn zu einer ganz persönlichen Beziehung zu ihm ein. Paulus fordert deshalb die Getauften auf, sich als Menschen zu begreifen, „die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus“ (Röm 6, 11).

Als Einladung zu einer ganz persönlichen Freundschaft mit Christus steht die Taufe am Beginn unseres Lebens und bildet gleichsam die Ouvertüre für unser ganzes Leben. Was ein solches Wissen im Leben eines Menschen bedeuten kann, davon legte der lutherische Theologe Wolfhart Pannenberg ein beredtes Zeugnis ab. Er wurde zwar als Kind getauft, blieb aber ohne christliche Erziehung, weil seine Eltern sich so sehr von der Kirche entfremdet hatten, dass sie ausgetreten sind. „Als ich dann aber als Heranwachsender zum christlichen Glauben zurückfand“, so bekennt Pannenberg, „wurde es für mich zunehmend wichtig, dass Gott in meinem Leben von Anfang an da gewesen ist und es durch den Akt der Taufe für seinen Dienst in Anspruch genommen hat.“ [1]

Dieses schöne Zeugnis bringt es an den Tag, dass die Taufe nicht einfach ein einmaliges Ereignis ist, sondern über die Gegenwart auf das ganze Leben des Getauften und damit auch in das Unbekannte einer noch fernen und fremden Zukunft hinaus greift. Doch gerade in diesem Vorgreifen auf das ganze Leben und alles Dunkel der Zukunft hinaus ist die Taufe in erster Linie ein froher Zuspruch, dessen befreiende Botschaft Papst Benedikt XVI. mit dem ansprechenden Bild zum Ausdruck gebracht hat: „So ist die Taufe der Regenbogen Gottes über unserem Leben, die Verheissung seines grossen Ja, die Tür der Hoffnung und zugleich die Weisung, die uns zeigt, wie man das macht, ein Mensch zu sein.“[2] Weil die Taufe sogar über den Tod hinaus auf das ewige Leben bei Gott greift, hat in der Taufe das ewige Leben in uns bereits begonnen, und zwar dadurch, dass wir ganz mit Christus verbunden worden sind.

Taufe als Aufnahme in den Leib Christi

Mit der Übereignung eines Menschen an Christus in der Taufe ist noch eine weitere wichtige Dimension verbunden: Die Taufe markiert nicht nur den Übertritt eines Menschen zum christlichen Glauben, sondern auch den Eintritt in die Glaubensgemeinschaft der Kirche. Die existenzielle Übereignung des Getauften an Christus und seine Einfügung in die Kirche als Leib Christi gehören unlösbar zusammen. Denn „in Christus sein“ als Geschenk der Taufe ist gleichbedeutend mit „im Leib Christi sein“. Mit der Taufe sind wir Christen berufen, als Menschen zu leben, die ihre neue Heimat in der Glaubensgemeinschaft der Kirche haben. Die Grundberufung der Christen besteht aufgrund der Taufe darin, Glieder des Leibes Christi zu werden und zu sein. Taufe und Kirche gehören von allem Anfang an unlösbar zusammen, wie dies bereits sichtbar ist im Bericht vom Pfingstereignis in der Apostelgeschichte, mit dem die Kirche endgültig begründet worden ist. Denn der Bericht über das Pfingstgeschehen geht unmittelbar über in den Bericht von der Taufe der ersten Christen: „Die nun, die sein Wort annahmen, liessen sich taufen. An diesem Tag wurden ihrer Gemeinschaft etwa dreitausend Menschen hinzugefügt“ (Apg 2, 41).

Zugehörigkeit zu Christus und Gliedschaft in der Kirche lassen sich nicht trennen, wie freilich ein Slogan vorgibt, der vor einigen Jahrzehnten Mode geworden ist und besagt: „Jesus ja – Kirche nein“. Zwischen Jesus und Kirche kann es aber, wie Papst Franziskus immer wieder in Erinnerung ruft, keinen Widerspruch geben, was er mit dem eindrücklichen Bild von Name und Nachname zum Ausdruck bringt: „Wenn der Name lautet <Ich bin Christ>, so lautet der Nachname <Ich gehöre zur Kirche>.“ Es kann deshalb gar keine rein individuellen Christen geben. Die christliche Identität besteht vielmehr in der Zugehörigkeit: „Wir sind Christen, weil wir zur Kirche gehören.“[3] Der Slogan „Jesus ja – Kirche nein“ ist folglich mit der Intention Jesu unvereinbar und nicht christlich. Denn wir können Jesus Christus nicht ohne jene Wirklichkeit haben, die er geschaffen hat und in der er sich mitteilt; wir können Jesus Christus nicht ohne seinen Leib haben, wie vor allem der Apostel Paulus betont. Für ihn bilden Taufe und Kirche eine unlösbare Einheit, weil es die Taufe ist, die den Täufling in die Kirche als in den Leib Christi eingliedert: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt“ (1 Kor 12, 13). Dieser Geist ist für Paulus das tiefste Einheitsprinzip der Kirche, wie in seiner einprägsamen Formel im Epheserbrief deutlich ist: „Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allen ist“ (Eph 4, 4-6).

Wenn wir diese intime Zusammengehörigkeit von Jesus Christus und seiner Kirche, die sein Leib ist, bedenken, dann wird uns neu bewusst, dass die Taufe das Eintrittstor nicht nur in die Kirche, sondern auch zur Ökumene ist, wie das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Ökumenismus hervorhebt. Es sieht in der Taufe den Grund der Zugehörigkeit aller Christen zur Kirche: „Denn wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche.“[4] Die Taufe begründet deshalb ein „sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind“[5]. In diesem sakramentalen Band der Taufe liegt die tiefste Einheit, die alle Christen miteinander verbindet. 

Die Taufe und ihre gegenseitige Anerkennung bilden von daher das grundlegende Datum aller ökumenischen Bemühungen. Unser gemeinsamer Wortgottesdienst bei der Ökumenischen Romfahrt ist eine willkommene Gelegenheit, uns auf dieses Fundament der Ökumene erneut zu verpflichten und uns dabei gegenseitig zu helfen, als Getaufte mit Christus und von ihm her miteinander zu leben. In der Taufe sind wir gemeinsam Reben am einen Weinstock Christus geworden und tragen das schönste Erkennungszeichen als Christen an uns, das uns mit christlicher Freude erfüllt und für das wir dankbar sein wollen.


[1] W. Pannenberg, Die Bedeutung von Taufe und Abendmahl für die christliche Spiritualität, in: Ders., Beiträge zur Systematischen Theologie. Band 3: Kirche und Ökumene (Göttingen 2000) 74-85, zit. 80.
[2] J. Kardinal Ratzinger, Weihnachtspredigten (München 1998) 75
[3] Franziskus, Katechese bei der Generalaudienz am 25. Juni 2014.
[4] Unitatis redintegratio, Nr. 3.
[5] Unitatis redintegratio, Nr. 22


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